B3 – Materialgerechter Entwurf ultraschlanker Rotorblätter

Kurztitel: Ultraschlanke Rotorblätter

Rotorblätter von Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von mehr als 20 MW werden eine Länge von mindestens 150 m erreichen und aufgrund des Trends zu Rotoren mit niedriger Induktion eine ultraschlanke Formgebung aufweisen. Aufgrund der Dimensionen dieser Rotorblätter wird ein materialgerechter Strukturentwurf mit maximaler Leichtbaugüte zunehmend wichtig. Außerdem ist zur bestmöglichen Ausnutzung des Materials und zur Gewährleistung einer ausreichenden Festigkeit und Lebensdauer die sehr genaue Kenntnis der Beanspruchungen zwingend erforderlich. Um eine größtmögliche Genauigkeit in der Ermittlung der Beanspruchungen zu ermöglichen, sind Querschnittsdeformationen des Blatts, das sogenannte „Blattatmen“, im Entwurf zu berücksichtigen, da diese aeroelastischen Kopplungen hervorrufen können. Da darüber hinaus die Beanspruchungen aus Eigengewicht der Rotorblätter überproportional mit der Blattlänge wachsen, kann die branchenübliche, erfahrungsorientierte und evolutionäre Weiterentwicklung bestehender Anlagen für Nennleistungen jenseits der 20 MW nicht zielführend sein. Ein wirtschaftlicher Entwurf von Rotorblättern der Leistungsklasse > 20 MW kann nur durch einen rasanten Entwicklungssprung realisiert werden, der mittels effizienter Optimierungsmethoden mit erweitertem Parameterraum und Berücksichtigung der wesentlichen lokalen Effekte bereits in der Modellbildung ermöglicht wird. Daher verfolgt das Teilprojekt B03 die folgenden Ziele:

  • Erforschung neuartiger Formulierungen des gradienten-basierten Optimierungsproblems für den Strukturentwurf von Rotorblättern, die einen erweiterten Entwurfsparameterraum berücksichtigen können, um die Bewertungsfähigkeit neuartiger Bauweisen und Materialkombinationen für Rotorblätter zu ermöglichen.
  • Erarbeitung von Grundlagenwissen hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen Querschnittsverformungen in der Querschnittsebene auftreten, die Einflüsse dieser Querschnittsverformungen auf die Anlagendynamik und die resultierenden Materialbeanspruchungen im Blatt sowie der Auswirkungen der veränderten Beanspruchungen auf den Strukturentwurf des Blatts.

Optimierung des Strukturentwurfs

Neue Bauweisen und Materialkombinationen können dabei helfen, die außerordentlich hohen Beanspruchungen aufzunehmen und an nachgelagerte Komponenten weiterzugeben. Dafür werden neue Formulierungen des Optimierungsproblems mit bisher nicht verfügbaren Formen der Parametrisierung und speziell angepassten Nebenbedingungen benötigt. Diese müssen einerseits die spezifischen anisotropen Eigenschaften von Faserverbundmaterialien ausnutzen und andererseits neue Bauweisen, die z. B. zusätzliche diskrete Versteifungen erlauben, bewerten können. Die Sicherstellung der Fertigbarkeit derartiger Bauweisen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.

Ein klassischer Strukturaufbau eines Rotorblatts ist in Abbildung 1 dargestellt. Es sollen einerseits neue Strukturtopologien mit zusätzlichen diskreten Versteifungen und andererseits neue Materialkonzepte in den Strukturentwurf eingebunden werden. Der neue Entwurfsprozess wird weiter unten beschrieben. Das Optimierungsproblem ist so zu formulieren, dass im Entwurfsprozess mit möglichst geringem numerischem Aufwand eine Vielzahl von Entwurfsvarianten schon im Vorentwurf bewertet werden kann. Es soll Grundlagenwissen geschaffen werden, wie das Rotorblatt zu parametrisieren ist, so dass diskrete Variablen der Strukturtopologie bzw. Materialkombinationen kontinuierlich und konvex für eine gradienten-basierte Optimierung mit geringen Rechenzeiten abgebildet werden.

Grafik zum Strukturaufbau eines Windenergieanlagen-Rotorblatts. Zu sehen ist die klassische Strukturtopologie mit Schale, Gurten und Stegen sowie der zugehörige Materialaufbau aus Faserverbund- und Sandwichlaminaten. Grafik zum Strukturaufbau eines Windenergieanlagen-Rotorblatts. Zu sehen ist die klassische Strukturtopologie mit Schale, Gurten und Stegen sowie der zugehörige Materialaufbau aus Faserverbund- und Sandwichlaminaten. Grafik zum Strukturaufbau eines Windenergieanlagen-Rotorblatts. Zu sehen ist die klassische Strukturtopologie mit Schale, Gurten und Stegen sowie der zugehörige Materialaufbau aus Faserverbund- und Sandwichlaminaten. © Fraunhofer IWES / Felix Klaenfoth
Abb. 1: Klassischer Strukturaufbau eines Rotorblattes

Außerdem sollen Nebenbedingungen für die Grenzzustände der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit für neue Bauweisen unter Berücksichtigung der Fertigbarkeit formuliert werden, so dass Anforderungen aus dem 3D-Tragverhalten in querschnittsbasierten Optimierungsstrategien bewertet werden können.

Untersuchung geometrisch nichtlinearer Querschnittsdeformationen

Rotorblätter erfahren zyklische Querschnittsdeformationen in der Querschnittsebene während des Betriebs. Dieses sogenannte „Blattatmen“, das in Abbildung 2 dargestellt ist, tritt insbesondere im hochbelasteten Innenbereich des Rotors und bei sehr großen und flexiblen Rotorblättern auf. Der Einfluss des Blattatmens auf das strukturdynamische Verhalten von Rotorblättern und die Anlagendynamik wurde bisher kaum erforscht. Es fehlt an Grundlagenwissen, wie das Blattatmen im Rahmen einer Gesamtanlagensimulation quantifiziert und in eine materialgerechte Strukturoptimierung eingebunden werden kann.

Um diese Wissenslücke zu schließen, sollen Simulationsmethoden erforscht, implementiert und angewendet werden, die die Quantifizierung des Blattatmens ermöglichen. Die Methoden sollen in ein neues Balkenmodell, das die wesentlichen Einflüsse des Blattatmens auf das 3D-Strukturverhalten und die Aerodynamik von Rotorblättern berücksichtigt, überführt werden. Durch die Integration des neuen Balkenmodells in den Digitalen Zwilling (s. auch Teilprojekt Z01) können genauere Lastensets ermittelt und in die entwickelten neuen Optimierungsansätze für den Strukturentwurf integriert werden, so dass die Einflüsse des Blattatmens auf die Anlagendynamik und den Strukturentwurf, auch unter Einbeziehung neuer Bauweisen evaluiert werden können. Auf diese Weise werden zukünftig gewichtsoptimierte und materialgerechte Strukturentwürfe für sehr große und ultraschlanke Rotorblätter möglich sein.

Grafik zur Visualisierung des Blattatmens. Zu sehen sind Einschnürungen und Aufweitungen eines exemplarischen Rotorblatt-Querschnitts, die zyklisch infolge der Beanspruchungen, die auf das Rotorblatt einwirken, auftreten. Grafik zur Visualisierung des Blattatmens. Zu sehen sind Einschnürungen und Aufweitungen eines exemplarischen Rotorblatt-Querschnitts, die zyklisch infolge der Beanspruchungen, die auf das Rotorblatt einwirken, auftreten. Grafik zur Visualisierung des Blattatmens. Zu sehen sind Einschnürungen und Aufweitungen eines exemplarischen Rotorblatt-Querschnitts, die zyklisch infolge der Beanspruchungen, die auf das Rotorblatt einwirken, auftreten. © LUH IWES / Claudio Balzani
Abb. 2: Durch Einwirkung äußerer Lasten verformt sich das Rotorblatt auf Querschnittsebene, was als „Blattatmen“ bezeichnet wird

Neuer Entwurfsprozess

Ziel des Teilprojekts ist der Aufbau eines Optimierungsprozesses, der sowohl die neue Optimierungsmethode als auch genauere Lastensets aus den untersuchten Querschnittsdeformationen beinhaltet.  Abbildung 3 zeigt den Entwurf des geplanten Optimierungsprozesses. Im ersten Schritt wird auf Basis eines initialen Designkonzepts ein parametrisches Modell des Rotorblatts erzeugt. Daraufhin wird ein Balkenmodell automatisiert aufgebaut, das alle zu optimierenden Designparameter zur Strukturtopologie und zur Materialverteilung enthält. Die innere Schleife des Optimierungsprozesses besteht aus der Optimierung der Materialverteilung und der Lastsimulation. Zur Materialoptimierung des Blatts werden sowohl Nebenbedingungen wie Versagenskriterien einbezogen als auch globale Kriterien zum statischen und aeroelastischen Anlagenverhalten (u. a. maximale Blattspitzendurchbiegung). Nach Konvergenz der inneren Schleife erfolgen geometrische Variationen mit der äußeren Schleife, die zu einem Update des Balkenmodells führen. Anschließend wird wieder in der inneren Schleife mit der Lastrechnung und Materialoptimierung fortgefahren und der Prozess so lange wiederholt, bis schließlich der Gesamtprozess gegen ein globales Optimum konvergiert.

Für die besten optimierten Designkandidaten werden 3D-Finite-Elemente-Modelle erzeugt und Simulationen durchgeführt. Ziel dabei ist es, zusätzlich Effekte durch die 3D-basierte Bestimmung der Spannungsbeanspruchungen und das Beultragverhalten zu berücksichtigen. Werden Versagenskriterien verletzt, müssen Nebenbedingungen angepasst und die Strukturoptimierung erneut durchgeführt werden. Die 3D-Modelle werden zudem dafür genutzt, die Querschnittsdeformationen zu untersuchen. Anhand einzelner Lastfälle und deren Einfluss auf die Verformung der Querschnitte, soll so ein Zusammenhang zwischen Lasten und Strukturparametern hergestellt werden. Dieser Zusammenhang soll dann in die Anlagensimulation eingepflegt werden, um genauere Lasten zu gewinnen, die wiederum für die Strukturoptimierung genutzt werden.    

Grafik zur Visualisierung des neuen Entwurfsprozesses, der im Teilprojekt B03 des SFB 1463 umgesetzt werden soll. Zu sehen sind die einzelnen Arbeitsschritte und der neue multi-fidelity-Ansatz in der Strukturoptimierung unter Einbeziehung des Blattatmens. Grafik zur Visualisierung des neuen Entwurfsprozesses, der im Teilprojekt B03 des SFB 1463 umgesetzt werden soll. Zu sehen sind die einzelnen Arbeitsschritte und der neue multi-fidelity-Ansatz in der Strukturoptimierung unter Einbeziehung des Blattatmens. Grafik zur Visualisierung des neuen Entwurfsprozesses, der im Teilprojekt B03 des SFB 1463 umgesetzt werden soll. Zu sehen sind die einzelnen Arbeitsschritte und der neue multi-fidelity-Ansatz in der Strukturoptimierung unter Einbeziehung des Blattatmens. © LUH IWES / DLR
Abb. 3: Neuer Ansatz für den Entwurfsprozess der Struktur von Rotorblättern, der in diesem Teilprojekt genutzt werden soll

Publikationen


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