C2 – Datenbasierte Strukturüberwachung mittels KI-basierter Wissensübertragung

Die Zustandsüberwachung (Structural Health Monitoring, SHM) von Offshore-Megastrukturen ist ein essenzieller Baustein, um deren Integrität und Zuverlässigkeit während des Betriebs sicherzustellen. Herkömmliche visuelle Inspektionen sind arbeitsintensiv, zeitaufwendig und führen häufig zu Betriebsausfällen, was die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit dieser Strukturen beeinträchtigt. Zuverlässige, datenbasierte SHM-Systeme sind daher notwendig, um Ausfallzeiten zu minimieren und Inspektionsintervalle zu optimieren. Solche Systeme ermöglichen es, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und gezielt zu beheben, ohne allein auf aufwendige visuelle Inspektionen angewiesen zu sein, und stellen so einen kontinuierlichen Betrieb sicher.

Eine zentrale Herausforderung im SHM ist die Systemidentifikation unter wechselnden Umgebungs- und Betriebsbedingungen (Environmental und Operational Conditions, EOCs). Offshore-Strukturen sind vielfältigen Umwelteinflüssen ausgesetzt, weshalb es unerlässlich ist, Simulationsmodelle kontinuierlich zu aktualisieren, um diese Variationen präzise abzubilden. Die Kombination von bestehendem Wissen (z. B. numerische Modelle und digitale Zwillinge) mit datengetriebenen Ansätzen in einem Grey-Box-Modellierungsansatz ermöglicht eine umfassendere Bewertung des Strukturverhaltens unter realen Betriebsbedingungen und schafft die Grundlage für fundierte Entscheidungen sowie eine zuverlässige Überwachung.

Praktische Einschränkungen erhöhen jedoch die Komplexität: Bei großen Strukturen wie Offshore-Windkraftanlagen steht eine begrenzte Anzahl von Messpunkten zur Verfügung, die im Verhältnis zu den Freiheitsgraden der Struktur unzureichend ist und ein Informationsdefizit im Sensorkonzept erzeugt. Darüber hinaus ist die Ableitung statistischer Modelle zeitaufwendig und erfordert langfristig aufgezeichnete Daten, was die praktische Umsetzung erschwert. Daher ist eine effiziente Nutzung der verfügbaren Daten und trainierten Modelle entscheidend.

Hier setzt Transfer Learning an – ein Ansatz aus dem Bereich des maschinellen Lernens, der vielversprechende Möglichkeiten bietet. Diese Technik ermöglicht es, Modelle, die auf bekannten Daten (Source Domain) trainiert wurden, an neue Szenarien (Target Domain) anzupassen, selbst wenn die neuen Daten nicht klassifiziert sind. Durch die Transformation schadsensitiver Merkmale in einen gemeinsamen latenten Merkmalsraum erleichtert Transfer Learning den Wissenstransfer zwischen verschiedenen Strukturen und verbessert so die Anpassungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des SHM-Systems.

Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Förderphase soll im vorliegenden Projekt das multivariate Grey-Box-Überwachungskonzept mit den in der zweiten Förderphase entwickelten Transfer-Learning-Methoden kombiniert werden. Ziel ist es, eine flexible und skalierbare SHM-Lösung zu entwickeln, die nicht nur auf einzelne Strukturen angewendet werden kann, sondern auf mehrere Offshore-Megastrukturen übertragbar ist. Darüber hinaus wird die Datenbasis um Informationen aus numerischen Modellen, wie dem digitalen Zwilling des SFB 1463, erweitert, um die Generalisierungsfähigkeit des Systems für verschiedene Szenarien zu verbessern.

Diese innovative Herangehensweise legt den Grundstein für die dritte Förderphase, in der Population-Based SHM (PBSHM) von ganzen Windparks in den Fokus rücken soll. Durch die effiziente Nutzung von Daten und den gezielten Wissenstransfer schafft das Forschungsprojekt die Grundlage für zuverlässige, skalierbare und nachhaltige SHM-Systeme zur Unterstützung des Betriebs von Offshore-Megastrukturen.

Ergebnisse der ersten Förderperiode

In der ersten Förderperiode wurde eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung der Zustandsüberwachung (Structural Health Monitoring, SHM) gelegt. Dabei wurden robuste Algorithmen der operationalen Modal-Analyse (OMA, White-Box-Methoden) mit maschinellen Lernverfahren (Black-Box-Methoden) in einem multivariaten Grey-Box-Überwachungskonzept kombiniert. Dieses innovative Konzept wurde speziell für die kontinuierliche Überwachung von Offshore-Großstrukturen unter realen Betriebsbedingungen entwickelt. Zu den wichtigsten Ergebnissen zählen:

  1. Aufbau der Benchmark-Struktur LUMO (Wernitz, 2022):
    Die Leibniz University Test Structure for Monitoring (LUMO) wurde als Open-Access-Benchmark-Struktur eingerichtet. Diese bietet eine wertvolle Plattform für die Entwicklung, Erprobung und den Vergleich von SHM-Methoden und fördert die Zusammenarbeit innerhalb der Forschungsgemeinschaft
  2. Entwicklung und Implementierung eines Grey-Box-Überwachungskonzepts (Möller, 2023).:
    Auf Basis der LUMO-Struktur wurde ein Grey-Box-SHM-Konzept entwickelt und implementiert. Dieses Konzept integriert physikbasierte (White-Box) und datengetriebene (Black-Box) Methoden, um deren Stärken zu nutzen und die Zuverlässigkeit und Anpassungsfähigkeit der Überwachung zu erhöhen.
  3. Anwendung der operationalen Modal-Analyse auf eine große Windkraftanlage (Jonscher, 2024):
    Die OMA-Technik BAYOMA wurde erfolgreich auf eine voll funktionsfähige 3,4 MW Onshore-Windkraftanlage angewendet. Diese reale Anwendung demonstrierte die Leistungsfähigkeit fortschrittlicher Modal-Analyse-Methoden zur Charakterisierung des dynamischen Verhaltens von Windenergieanlagen im Betrieb.
  4. Entwicklung eines physikalisch motivierten heteroskedastischen Gaussian-Process-Modells (Jonscher, 2024):
    Zur Bewältigung der Herausforderungen durch variierende Betriebs- und Umweltbedingungen wurde ein heteroskedastisches Gaussian-Process-Modell entwickelt. Dieser physikalisch inspirierte Ansatz bot einen robusten Rahmen zur Überwachung von Windkraftanlagen und ermöglichte die Identifikation schadsensitiver Merkmale trotz wechselnder Bedingungen.

Diese Ergebnisse verdeutlichen die erfolgreiche Kombination theoretischer Fortschritte und praktischer Anwendungen und bilden die Grundlage für eine zuverlässige Überwachung von Offshore-Megastrukturen. Die in der ersten Förderperiode erzielten Ergebnisse legen eine solide Basis, um das Grey-Box-Überwachungskonzept weiter auszubauen und die Herausforderungen der Überwachung mehrerer Strukturen sowie von populationsbasiertem SHM in den folgenden Forschungsperioden anzugehen.

 

Ziele und Ansätze der zweiten Förderperiode

Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Förderperiode zielt die zweite Förderperiode darauf ab, die Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit von Methoden des Structural Health Monitoring (SHM) deutlich zu erweitern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Überwachung mehrerer Strukturen anstelle einzelner, was den Weg für ein populationsbasiertes SHM ebnet. Hierfür müssen zentrale Herausforderungen im Umgang mit begrenzten Trainingsdaten und der Optimierung der Rechenkosten überwunden werden. Die Ziele und Ansätze der zweiten Förderperiode sind wie folgt:

Ziele der zweiten Förderperiode

  1. Überwachung mehrerer Strukturen:
    Entwicklung von Methoden, die die Zustandsüberwachung vieler Strukturen ermöglichen, statt sich nur auf einzelne Strukturen zu konzentrieren. Dies schafft die Grundlage für Anwendungen im großen Maßstab, beispielsweise in Windparks.
  2. Bewältigung von Informationsdefiziten:
    Kompensation begrenzter Trainingsdaten, wie unvollständiger Abdeckung von Umwelt- und Betriebsbedingungen oder fehlender/unbeschrifteter Schadenszustände. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die SHM-Methoden auch bei spärlicher oder unvollständiger Datenlage robust bleiben.
  3. Reduzierung von Rechenkosten:
    Minimierung zeitaufwendiger Trainingsphasen zur Steigerung der Effizienz. Dies ist entscheidend für die praktische Anwendung von SHM-Systemen, insbesondere unter realen Bedingungen mit begrenzten Rechenressourcen.

Ansätze der zweiten Förderperiode

  1. Verifikation und Validierung:
    • Verifikation erfolgt durch die etablierte LUMO-Benchmark-Struktur, um die Zuverlässigkeit der entwickelten Methoden sicherzustellen.
    • Validierung erfolgt an praxisnahen Testfällen, darunter die Forschungswindturbine PreciWind, der deutsche Forschungswindpark WiValdi (DFWind) und das Reallabor 70 GW Offshore Wind. Diese realen Umgebungen ermöglichen eine umfassende Prüfung unter realistischen Bedingungen.
  2. Wissenstransfer durch Transfer Learning:
    Nutzung von Transfer Learning, um den Wissens- und Modelltransfer zwischen verschiedenen Strukturen zu ermöglichen. Diese Technik reduziert die Abhängigkeit von umfangreichen, beschrifteten Daten und beschleunigt die Anpassung von Modellen an neue Szenarien.
  3. Quantifizierung von Struktursimilaritäten mittels Graphentheorie:
    Anwendung der Graphentheorie, um Ähnlichkeiten zwischen Strukturen zu quantifizieren. Dies ermöglicht eine systematische Untersuchung der Übertragbarkeit von Wissen und die Identifikation gemeinsamer Merkmale zwischen Strukturen.
  4. Domänenanpassung (unsupervised und supervised):
    Entwicklung von Methoden zur Domänenanpassung (sowohl unüberwacht als auch überwacht), um die Techniken aus der ersten und zweiten Förderperiode zu koppeln. Diese Integration maximiert die Genauigkeit datenbasierter SHM-Methoden, indem trainierte Modelle an neue Umgebungen, Betriebsbedingungen und Strukturen angepasst werden.

Mit diesen Zielen und Ansätzen strebt das Teilprojekt C2 die die Entwicklung eines robusten, effizienten und skalierbaren SHM-Frameworks an, das in der Lage ist, eine Vielzahl komplexer und diverser Strukturszenarien zu überwachen und den Weg für ein populationsbasiertes SHM in großen Offshore-Windparks zu ebnen.


Publikationen


Teilprojektleitung

Prof. Dr.-Ing. habil. Raimund Rolfes
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Projektmitarbeit

Dr.-Ing. Tanja Grießmann
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Sören Kai Möller
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